Typischer Schwedenkrimi

Die Schattenfrau
Ich weiß schon, warum ich keine Schwedenkrimis lese. Nach langer langer Zeit, habe ich trotzdem mal wieder zu einem gegriffen. Weil das Buch auf unserem Tisch für Bücherspenden obenauf lag und meine Stimmung gerade danach war. Wie es einst in unseren Bestand gekommen ist, weiß ich nicht mehr, vermutlich ein Geschenk.
Immerhin war der ermittelnde Kommissar diesmal nicht frisch geschieden. Er hatte weder eine Depression noch eine Midlife Crisis und der nicht vorhandene Sohn dementsprechend kein Drogenproblem. Und wie ein Penner lief er auch nicht durch die Gegend. Das fand ich schon mal gut.
Ganz im Gegenteil: Erik Winter ist noch recht jung, wohlhabend und stets gut gekleidet. Das einzige Klischee: Seine Freundin bedrängt ihn wegen der biologischen Uhr - man kennt das Thema zur Genüge aus tausend anderen Romanen/Filmen.
Auch braucht der Leser zu Beginn keinen Sprung in eine nasskalte schwedische Ödnis zu machen. Stattdessen herrscht in Göteborg spätsommerliche Hitze. Was die Sache allerdings nicht besser macht. Denn trostlos scheint es dort, den Beschreibungen nach zu urteilen, trotzdem zu sein. Das gehört sich anscheinend so für einen Schwedenkrimi.
Oder sieht es in dem Land wirklich überall so traurig aus? Dann wundert es mich allerdings nicht, dass 80% der literarischen Schwedenkommissare dem Alkohol verfallen.
Warum nur muss alles so hässlich dargestellt werden, frage ich mich. Die Landschaft trostlos, die Städte laut und verdreckt, die Menschen wortkarg-grimmig bis feindselig-aggressiv, das Essen aus laschen Würstchen und lauem Bier bestehend, und der gesellschaftliche Umgangston ... rau wäre glatte Schönfärberei.
Geschenkt! Ich bin geneigt über das Drumherum hinwegzusehen, denn der Autor soll laut Klappentext "auf brillante Weise die Spannung eines klassischen Krimis mit psychologischem Tiefgang und einer faszinierenden Personenzeichnung verbinden." Das klang verheißungsvoll. Deshalb habe ich das Buch überhaupt aufgeschlagen.
Inzwischen habe ich Seite 434 von 528 zu fassen ...
Was soll ich sagen? Ich bin eigentlich ein Fan von Beschreibungen, auch wenn sie etwas länger ausfallen. Aber hier ist die Verhältnismäßigkeit irgendwie in Schieflage geraten. Die wenigen Fakten, die bis Seite 400 zusammengetragen wurden, hätten auch auf 40 Seiten gepasst.
Und so furchtbar interessant ist die Hauptfigur nun auch wieder nicht, als dass ich jeden ihrer Gedanken und jedes ihrer eleganten Kleidungsstücke bis ins kleinste Detail beschrieben bekommen müsste. Die Dialoge mit Freundin oder Schwester dienen meiner Empfindung nach als Füllstoff und tragen nicht groß zur Charakterisierung bei.
Selbst so kurz vor der Auflösung kommt bei mir einfach keine Spannung auf. Psychologischen Tiefgang? Kann ich nirgends entdecken. Oder sind damit die Gedankengänge beinahe sämtlicher Nebenfiguren gemeint, die zu einem ständigen Perspektivwechsel - sogar innerhalb eines Absatzes! - führen, was eigentlich ein No-Go ist?
Nur eines fand ich an der Schattenfrau sehr interessant: Die Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Schweden. Mehrfach habe ich ins Impressum geschaut und mir ungläubig die Augen gerieben, dass dieser Roman tatsächlich bereits 1998 erschienen ist.
Denn was Ake Edwardson in dem Roman beschreibt, sind Zustände, wie wir sie aktuell auf unseren Straßen vorfinden. Ich kann kaum fassen, dass das Vorzeigeland Schweden bereits seit 27 Jahren mit diesen Problemen zu kämpfen hat, da es uns noch 2015 als großes Vorbild aufgezeigt wurde.
Genau, es geht um Ausländerfeindlichkeit, heute Rassismus genannt, sogar - wer hätte das gedacht? - in den Reihen der Polizei. Es geht um die Verslumung der Städte, um Bandenkriege und Gewalt auf der Straße, der die Polizei kaum noch Herr wird. Um eine offene Trinker- und Drogenszene. Um verängstigte Bürger, die sich immer mehr ins Private zurückziehen. Um Misstrauen und Feindseligkeiten allen und jedem gegenüber. Um Vereinsamung. Auch um Themen wie Stellenabbau bei gleichzeitigem Errichten von seelenlosen Protzbauten und und und ... Wir kennen das alles ja zur Genüge.
Dass Ake Edwardson die Zustände in Göteborg schon 1998 so beschreibt, wie wir sie heute bei uns vorfinden, zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, den Blick über den Gartenzaun zu werfen und zu schauen, was in den Nachbarländern los ist - um vorbereitet zu sein und von ihnen zu lernen.
Nach der Lektüre habe ich mich nicht mehr gewundert, dass durch das uns stets als Vorbild hingestellte Schweden längst ein Rechtsruck gegangen ist. Und hätten wir frühzeitig hingeschaut, hätten
wir die Gefahr erkannt und abwenden können. Denn:
Man kann auch aus Fehlern anderer lernen, es müssen nicht immer die eigenen sein!
Insofern bin ich doch froh, diesen Schwedenkrimi gelesen zu haben, auch wenn es vordergründig bestimmt nicht in der Absicht des Autors lag, sozialpolitische Kritik zu üben. Aber Ake Edwardson hat sich getraut, die Zustände auf Schwedens Straßen schonungslos zu beschreiben. Dafür: Hut ab!
Trotzdem: Schwedenkrimi? So schnell nicht wieder. Schon Wallander hat sie mir damals abgewöhnt.
Welche "Krimis" ich jedoch wärmstens empfehlen kann:
- Kalmann von Joachim B. Schmidt (unter meinen TOP FIVE 2024)
- Schnee, der auf Zedern fällt von David Guterson (Anwärter für die TOP FIVE 2025)
- Der Gesang der Flusskrebse von Delia Owens (unter meinen TOP FIVE 2023)
Ich freue mich auch auf Empfehlungen Ihrerseits!