Roman über den Momo-Schöpfer Michael Ende
Die ganze Welt ist eine große Geschichte und wir spielen darin mit
Großartig, diese Romanbiografie von Charlotte Roth! Sie hat mir Michael Ende in mannigfaltigen Bildern nahegebracht und mich auch an seinem Innenleben teilhaben lassen.
Das macht eben den Unterschied zwischen einer reinen Biografie, die ein Sachbuch ist, und einem Künstlerroman. Des besseren Leseerlebnisses wegen durfte die Autorin nämlich den Boden der Authentizität und Chronologie verlassen, fiktive Brücken bauen und auch Eigendeutungen zulassen. Dadurch ist ein wunderbares Gesamtkunstwerk über Michael Endes Leben entstanden. Ich bin davon überzeugt, dass er damit voll und ganz einverstanden gewesen wäre.
Anfangs geht es um einen Künstler zur NS-Zeit. Statt des Malers Max Ludwig Nansen, der in Siegfried Lenzens Deutschstunde (siehe Blogbeitrag) mit einem Malverbot belegt wurde, haben wir es in der Geschichte über Michael Endes Leben mit dessen Vater Edgar Ende zu tun, dessen Bilder als entartet galten und nicht zur Ausstellung gebracht werden durften.
Was geschieht mit Künstlern, wenn sie ihre Kunst nicht ausüben dürfen?
Wenn ihre Werke keine Öffentlichkeit erfahren?
Wenn sie weder Anerkennung bekommen noch ihren Lebensunterhalt bestreiten können?
Was passiert mit der Fantasie, wenn sie unausgelebt bleibt?
Der Krieg verändert alles. Auch Michael Endes Vater. Die gemeinsamen Geschichten und Hausgeister, die ganze Welt, die der Vater in der kleinen Wohnung in Garmisch für seinen Sohn erschaffen hatte, alles ist erloschen.
Über die Kriegsjahre ist Klein-Michael zum Mann herangewachsen, der Vater erkennt ihn kaum wieder. Michael geht es mit seinem Vater ebenso. Das Fremde treibt einen bitteren Stachel in ihre einst innige Vater-Sohn-Beziehung.
Als Michael Ende während der Nachkriegsjahre verkündet, dass er Schauspieler werden will, stößt dies auf wenig Verständnis bei seinem Vater. Sollte aber nicht gerade er als Künstler, seinen Sohn eher dazu ermutigen, sich in dieser Kunst zu erproben? Oder zumindest dessen schriftstellerischen Erstlingswerke anerkennen?
Sollte man sich nicht als Künstlerseele der Seele eines anderen Künstlers, zumal wenn es der eigene Sohn ist, annehmen, statt diese ständig zu ignorieren?
Das sind die Fragen, die ich mir während der Lektüre gestellt habe. Sie mögen naiv sein. Denn so oft ist es gerade nicht so.
Warum? Vielleicht weil der Vater weiß, wie schwer es ist, mit Kunst sein tägliches Brot zu verdienen? Vielleicht will Vater Ende seinem Sohn die Qualen und die „Einsamkeit“ des Künstlers nur ersparen? Denn der Maler Ende hat sich für seine Kunst stets wochenlang in einen dunklen Raum begeben, hat sich von seiner Familie und Freunden abgewandt, um etwas aus seinem Inneren erschaffen zu können und musste den Kampf mit so manchem Dämon allein mit sich ausfechten. Er brauchte diese Einsamkeit, um Kunst zu erschaffen.
Und tatsächlich: Seinem Sohn sollte es beim Schreiben nicht anders ergehen.
Wollte der Vater dem Sohn dieses Leid bloß ersparen und konnte es bloß nicht in Worte fassen?
Vater Ende war genau das so oft: wortlos. Besonders wenn es um Emotionen ging.
Das Thema der von ihren Emotionen losgelösten Kriegsgeneration hatte ich bereits bei Lenzens Deutschstunde und bei Grass‘ Blechtrommel angesprochen. Es ist ein Thema, das sich wiederholt und wie ein roter Faden durch die gesamte Nachkriegsliteratur zieht.
Doch der Sohn versucht seinen eigenen Weg zu gehen. In den 50er Jahren erfährt Michael Ende Irrungen und Wirrungen. Die Schauspielerei gibt er schon bald auf und verlegt sich aufs Scheiben. Zum Erfolg führen die Theaterstücke und Couplets, die er für die Bühne schreibt, jedoch nicht. Aber er treibt sich in den richtigen Kreisen herum.
1960 gelingt ihm mit Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer endlich der Durchbruch – und wird in den literarischen Kreisen abgewertet als „Kinderbuchautor“. Trotz der harschen Kritik und Häme wird sein Debütroman mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und gelangt so in die Buchhandlungen. Seitdem ist er ein Longseller und darf sich zur klassischen Kinderliteratur zählen.
Faszinierend finde ich, was Michael Ende zur Entstehung seines Erstlings schreibt: „Ich setzte mich also an meine Schreibmaschine und schrieb: Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer
lebte, war nur sehr klein. Das war der erste Satz, und ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wie der zweite heißen würde. Ich hatte keinerlei Plan zu einer Geschichte und keine Idee. Ich
ließ mich einfach ganz absichtslos von einem Satz zum anderen, von einem Einfall zum nächsten führen. So entdeckte ich das Schreiben als ein Abenteuer. "
Dieses Zitat - entnommen aus Wikipedia - hätte von mir stammen können. Exakt so habe auch ich das Schreiben der Nicolae-Saga als Abenteuer erfahren, von dem ich am Morgen nicht wusste, wie es am Abend enden würde.
Die weiteren Lebensabschnitte sind bildreich erzählt und geben Einblick in Michael Endes inneres Erleben. Als Leser ist man ganz bei ihm und das macht diese Romanbiografie so lesenswert.
Ich muss zugeben, dass ich außer Momo, das ich meinen Kindern vorgelesen hatte, nichts von diesem Autor gelesen habe. Selbst Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ist an mir vorbeigegangen und ich kann mich nur ganz vage an die Geschichte aus der Augsburger Puppenkiste aus den Kindertagen meiner Kinder erinnern. Das wird sich natürlich demnächst ändern!
Von Momo, das erst 13 Jahre nach Endes Debütroman herausgekommen ist, war ich begeistert und auch die Verfilmung mit Radost Bokel aus dem Jahr 1986 hat mir damals gut gefallen. Jetzt liegt das Buch wieder lesebereit auf meinem Nachttisch.
Habe bereits angefangen. Als Kinderbuch habe ich es - und darüber würde sich Michael Ende sehr freuen - damals nicht aufgefasst, eher als eine magische Geschichte für Erwachsene, die auch Kinder begreifen können.
Übrigens ist der Titel der Romanbiografie "Die ganze Welt ist eine große Geschichte und wir spielen darin mit" ein Zitat aus Momo, wie ich gestern beim Lesen freudig festgestellt habe. Diesen Satz sagt Gigi Fremdenführer zu Beppo Straßenkehrer, weil es diesem angeblich an Fantasie mangele. (!)
Die unendliche Geschichte kenne ich nur als Verfilmung (1984) und fand sie doof: ein zotteliger Plüschhund als Drache und dann der übliche Fantasykitsch. Naja ...
Das darf ich hier so unverblümt hinschreiben; Michael Ende wäre mir deswegen nicht böse, denn für ihn war die Verfilmung seines Werkes ein absolutes Drama und endete in einem Debakel. Er selbst bezeichnete sie als "dümmliches Fantasy-Spektakel". Er hat sich davon distanziert und war zutiefst traurig, was aus seiner literarischen Vorlage gemacht worden war. Nichts von der Kernbotschaft sei erhalten geblieben, sagte er.
Grund genug auch hier zum Buch zu greifen. Ich werde berichten!
Und welche Geschichten von Michael Ende haben Sie gelesen - oder als Film gesehen?
Was ist Ihnen davon besonders in Erinnerung geblieben?
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