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Siegfried Lenz: Deutschstunde

Nachkriegsliteratur als Heimatgemälde

Deutschstunde

Als waschechte Hamburgerin gehört Siegfried Lenz quasi zur Pflichtlektüre. Trotzdem hat es über mein Leben verteilt fünf (!) Anläufe  gebraucht, um dieses bedeutende Werk zu Ende zu lesen.

Die Male zuvor war ich stets im ersten Viertel steckengeblieben, irgendwo beim Heimatabend, auf dem auf Leinwand ein vor der Küste liegender bewaffneter Fischdampfer gezeigt wird. Rugbüll an der nördlichsten Spitze Deutschlands ist gerüstet.

 

Keine Ahnung, ob mir bis jetzt die nötige Reife fehlte, um die „Deutschstunde“ zu würdigen. Mit Lenz hatte - und habe ich zum Teil noch - so meine Schwierigkeiten. (Erläuterung folgt weiter unten.)

 

Doch dieses Mal bin ich beeindruckt, wie Lenz aufzeigt, dass selbst in eine kleine Dorfgemeinschaft, wo jeder jeden kennt, wo sich seit Jahr und Tag nichts verändert, die Terrorherrschaft der Nazis gnadenlos vordringt und Familien sowie langjährige Freundschaften zerstört.

Zum Inhalt

Der Ich-Erzähler Siggi Jepsen sitzt im Jugendknast auf der Elbinsel Hahnöversand und ist dazu verdonnert worden, einen Aufsatz zu dem Thema: „Die Freuden der Pflicht“ zu schreiben.

 

Er schreibt über seine Familie. Über seinen Vater, den Polizeiposten Rugbüll, der im Zuge seiner Pflichtausübung nicht davor zurückschreckt, seinem Jugendfreund, den Maler Max Ludwig Nansen, der aus Berlin mit einem Malverbot belegt wurde, aufzulauern und nachzustellen, um ihn zu überführen und anzuzeigen.

 

Der Schüler Siggi gerät zwischen die Fronten. Sein Vater rekrutiert ihn als Spion, doch Siggi hält zu seinem Malerfreund, dessen heimlich entstandene Werke er sogar vor seinem Vater versteckt – sie rettet, wird er später sagen. Doch in seinem Eifer geht auch Siggi in seiner sich selbst auferlegten Pflichterfüllung zu weit und entwendet bedeutende Gemälde ohne Wissen des Malers.

 

Wie sukzessiv die Atmosphäre der Dorfgemeinschaft vergiftet wird, wie der Polizeiposten Rugbüll anfangs noch mit großem Unbehagen seinem Freund gegenüber das Malverbot ausspricht und später immer mehr zum Handlanger der Nazis wird, das ist absolut glaubwürdig dargestellt. Selbst als das nationalsozialistische Regime zusammenfällt und der Zweite Weltkrieg beendet ist, kann Siggis Vater nicht von seinem fanatischem Tun lassen.

 

Schlimmer aber als der diensteifrige Dorfpolizist ist dessen Frau, Siggis Mutter; eine kaltherzige und völlig emotionslose Frau, die es fertigbringt, all ihre drei Kinder zu verstoßen: den ältesten Sohn wegen seiner Fahnenflucht, als er sich im Lazarett selbst verstümmelt, um nicht mehr an die Front zu müssen; die Tochter, weil sie sich am Strand halbnackt von dem Maler hat porträtieren lassen; und Siggi, weil er die entartete Kunst auf dem heimischen Dachboden versteckt hat statt sie zur Anzeige zu bringen, wie es als Spion seines Vaters seine Pflicht gewesen wäre.

 

Die Strafarbeit, über die Freuden der Pflicht zu schreiben, wird für Siggi ebenfalls zur Obsession. Obwohl er sie beenden darf, besteht er darauf, sie zu Ende zu bringen. In ihm wiederholt sich der Übereifer, der Fanatismus, seines Vaters.

 

Nur einen Wermutstropfen habe ich gefunden, im letzten Satz:

„Eine Handbewegung und wir (der Direktor der Jugendstrafanstalt und Siggi) werden uns setzen, werden einander reglos gegenübersitzen, zufrieden mit uns, weil jeder das Gefühl haben wird, gewonnen zu haben.“

NEIN … habe ich an dieser Stelle gedanklich aufgeschrien: nicht gewonnen, sondern seine Pflicht erfüllt zu haben!!!

 

Fazit: Das Aufsatzthema ist absolut gelungen.

 

Ob ich dadurch zum Lenz-Fan werde, möchte ich jedoch bezweifeln. Denn auch bei diesem Roman muss ich feststellen, dass der Autor Schwierigkeiten hat, weilbliche Charaktere glaubwürdig darzustellen; sie bleiben irgendwie schemenhaft und leblos, ob Siggis Schwester Hilke oder die Frau des Malers, Ditte. Schade.

Aber sonst: Daumen hoch!


Haben Sie die "Deutschstunde" im Schulunterricht durchgenommen? Oder freiwillig gelesen?

Sagen Sie mir gerne Ihre Meinung zu diesem Lenz'schen Werk. Ich bin gespannt!

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