· 

Musik in der Nicolae-Saga Teil 1

Musik in der Nicolae-Saga Teil 1

Walzer, Ballett, Oper und Operette

Aus meiner Romanwelt: Die Musik in der Nicolae-Saga Teil 1 - Walzer, Ballett, Oper, Operette - Bild: Edgar Degas 1872
Bild: Edgar Degas 1872 - Orchestra Musicians - Quelle: Wikimedia Commons

"Das Gelesene hört sich an wie eine wohlklingende Melodie." 

Über dieses Kompliment einer Leserin (und Musikerin!) bezüglich meines Schreibstils habe ich mich damals sehr gefreut. Umso mehr weil Musik in sämtlichen Bänden der Nicolae-Saga eine nicht unbedeutende Rolle spielt.

 

Warum? Weil jede Epoche von einer bestimmten Musik gekennzeichnet ist und zu ihrer Charakteristik beiträgt. Menschen jeden Zeitalters und Kulturraums wurden von Musik geprägt; das fängt bereits mit dem Wiegenlied an. 

 

Daher gehört es für mich zur Recherchearbeit eines historischen Romans unbedingt dazu, zu ermitteln, welche Musik damals gehört wurde und welchen Einfluss sie eventuell auf meine Romanfiguren nimmt - gleich ob klassisches Konzert, Kirchenlied, Gassenhauer oder Traditional.

 

Nicht zu vergessen, dass in vergangenen Zeiten wesentlich mehr Hausmusik gemacht, ein Instrument gespielt oder gesungen wurde. Und das gilt für alle sozialen Schichten.

Das 19. Jahrhundert tanzt im Dreivierteltakt

Auch in England, wie fast auf der ganzen Welt, werden die Melodien des Walzer-Königs Johann-Strauss gespielt. Ebenso berühmte Opern- oder Operetten-Arien, die damals schwer in Mode kamen. Und so gerät auch meinem Titelhelden Nicolae diese beschwingte Musik früh zu Ohren.

 

Vor allem auf der Kurreise, auf die er sich in Band 1 der Nicolae Saga zusammen mit seiner Mutter begibt, hören sie in den Wiener Kaffeehäusern und in den Konzertsälen der ungarischen Kurhäuser Walzermelodien, auf den Paradeplätzen Marschmusik und manch Akkordeonspieler oder Drehorgelmann greift beliebte Arien oder Volksweisen auf.

 

Auf der Pariser Weltausstellung von 1867 tritt der Johann-Strauss-Walzer An der schönen blauen Donau seinen Siegeszug an. Diese Melodie wird dem kleinen Nicholas (später Nicolae) nicht mehr aus dem Kopf gehen und für immer mit seinen Reiseerlebnissen auf dem Kontinent verknüpft bleiben.

Das märchenballett

Bereits zuvor wird Nicholas im Londoner Opernhaus von dem märchenhaften Ballett Giselle mit der Musik von Adolphe Adam verzaubert, zu dem sein Patenonkel die Familie eingeladen hat.

 

Als der erste Ton von Adolphe Adams Ballettmusik im festlich erleuchteten Opernhaus erklang, fand eine wundersame Wandlung in Nicholas statt. Es war, als hätte eine unsichtbare Hand seinem Herzen einen Stoß versetzt und den unsichtbaren Schutzschild von seinem Leib gerissen. Seine Seele erwachte und sein Geist machte sich bereit, bisher unbekannte Gefilde erhabener Reize zu betreten, nicht ahnend, in welchen Strudel sinnlicher Gelüste er noch an diesem Abend geraten sollte. Und als nach der Ouvertüre die ersten Tänzer über die Bühne schwebten, war ihm, als höbe sich ein Schleier von seinen Augen, der den Blick auf eine ihm bis dahin verborgene Welt freigab. Wie gebannt verfolgte er die ihm überirdisch anmutenden Tänzer, welche sich in vollkommener Harmonie den Klängen der Musik fügten.

 

Der zweite Akt mit seinem Geisterreigen tanzsüchtiger Wilas, dem nun auch Giselle nach ihrem Tode angehörte, ließ Nicholas‘ Atem vollends stocken. Die Ballerinen schienen schwerelos über die Bühne zu schweben, jeden in ihren Bann ziehend, der ihnen zu nahe kam. Herzog Albrecht geriet in ihren magischen Kreis, und Myrtha, die Königin der Wilas, befahl Giselle, ihn zu Tode zu tanzen.

 

Nicholas hielt es auf seinem Logensitz nicht mehr aus. Er lehnte sich über die Balustrade und fieberte zusammen mit dem unglücklichen Albrecht dem Morgengrauen entgegen.  (...)

 

Nach und nach erloschen die Lichter des Opernhauses. Wehmütig schaute Nicholas auf den magischen Ort zurück, an dem die Geister aus der anderen Welt heraufbeschworen worden waren, um die Seelen der Zuschauer zu entführen. Diese Stätte, in der sich beide Welten miteinander verbanden, wollte er für immer in Erinnerung behalten.

(Aus Band 1 der Nicolae-Saga: Zwischen den Welten)

 

Hier habe ich zum ersten Mal das mystische Thema in der Musik aufgegriffen.

Das Bühnenbild im unten stehenden Video spricht für sich und erinnert an die Werke Caspar David Friedrichs; man kann ihm die Nähe zur Schwarzen Romantik jedenfalls nicht absprechen.

Komische Opern und Ballette

Die Mystery-Komponente der Nicolae-Saga zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche. Nicolae wird magisch davon angezogen, denn er vermag hinter die Kulissen dieser Welt zu schauen. Mit fortschreitendem Alter wird er die weltumfassenden Zusammenhänge des Übernatürlichen erkennen, die ihm überall begegnen. 

 

Das Unheimliche, nicht Erklärbare dieser Welt will als Gegenströmung zum harten Realismus des fortschrittlichen 19. Jahrhunderts verstanden werden. Magie, Spuk und Okkultismus haben Hochkonjunktur, wo immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Fantasie vertreiben.

Nicht umsonst wird in jener Epoche wie kaum in einer anderen so viel Schauerliteratur geschrieben.

 

Und so wird Nicolae später mit Begeisterung Hoffmanns Erzählungen und Orpheus in der Unterwelt von  Jacques Offenbach lauschen - zwei phantastische Opern, die seine Fantasie beflügeln.

 

Hoffmanns Erzählungen basieren auf verschiedene Erzählungen von E.T.A Hoffmann, die zur Phantastischen Literatur (nicht zu verwechseln mit Fantasy!) zählen. In der phantastischen Literatur bildet die wirkliche Welt die Grundlage. Hin und wieder durchbricht jedoch Unheimliches, Magisches oder Märchenhaftes die Realität und bringt die Welt der Romanfiguren ins Wanken. Das ist der Stoff, aus dem ich die Nicolae-Saga gewoben habe.

 

E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann wird später auch Leo Delibes zu seinem komischen Ballett Coppelia inspirieren. Unnötig zu sagen, dass Nicolae auch dieses mit Begeisterung aufnimmt und über die Frage nachdenkt, ob man eine Puppe ebenso lieben kann wie einen lebendigen Menschen. Für seine kleine Schwester steht die Antwort jedenfalls fest.

 

Die geschauten Bilder tanzten immer noch vor ihren Augen, als die Kutsche sie bereits heimwärts rumpelte.

»Nun, Nicolae, wie hat dir Coppelia gefallen?«, hörte sie ihren Vater fragen.

»Obwohl es recht lustig auf der Bühne zuging«, antwortete ihr Bruder, »hat mir der alte Mechanicus Coppelius doch leidgetan.«

»Aber er war doch ein böser Zauberer!«, warf Natalia ein.

»Schon, Nana, aber er tat doch alles nur aus Einsamkeit. Nur darum hatte er sich eine lebensgroße Aufziehpuppe gebaut, die er zum Leben erwecken wollte. Und das ging nur, indem er den Franz sich in sie verlieben ließ, damit dessen Liebe Coppelia lebendig machte.«

»Und du siehst darin kein Unrecht, Nicolae?«

Natalia äugte zur ihrer Tante, die ihren Bruder mit einem fast vorwurfsvollen Blick bedachte.

»Es war immerhin nichts als Schwindel und fauler Zauber«, fuhr diese belehrend fort. »Coppelius hat alle glauben lassen, seine Coppelia sei echt und hat dabei das Herz des einfältigen Franz für seine Zwecke schändlich missbraucht. Er hätte damit fast die Liebe zwischen ihm und seiner Swanilda zerstört, wenn diese Coppelius nicht rechtzeitig auf die Schliche gekommen wäre. Denn Franz war in Wahrheit ja nicht in Coppelia verliebt, Nicolae, sondern lediglich in eine leblose Puppe.«

»Aber er hat’s geglaubt, Tante Judith, und nur darauf kommt es an. Seine Gefühle für Coppelia waren echt. Er hat sie wahrhaft geliebt, und das hätte sie lebendig gemacht.«

 Wie gebannt lauschte Natalia dem Gespräch. Der letzte Satz versetzte sie in hellen Aufruhr. Längst hatte ihre Tante wieder Stellung zu dem Gesagten genommen und auch ihr Vater hatte etwas darauf erwidert. Aber in Natalia war nur noch Platz für den Gedanken, dass es etwas geben könnte, das eine Puppe lebendig werden ließ. (...)

Natalia sah Bruder und Vater kurz Blicke tauschen, bevor sie sich leise seufzend in ihre Sitze zurücklehnten. Unterdessen begann Natalia, das Fräulein Sisi von Minute zu Minute mehr zu lieben.

(Aus Band 3 der Nicolae-Saga "Jenseits der Wälder")

 

Die Parallelen zwischen der Oper Hoffmanns Erzählungen, der Erzählung Der Sandmann, dem Ballett Coppelia und Mary Shelleys Schauerroman Frankenstein oder Der moderne Prometheus liegen auf der Hand: Es geht um den ewigen und verwegenen Menschheitstraum einen Menschen zu erschaffen und eine tote Materie zum Leben zu erwecken.

Von der Idee E.T.A. Hoffmanns und Mary Shelleys sind wir jedenfalls nicht mehr weit entfernt.

Jacques Offenbachs Oper: Hoffmanns Erzählungen

Leo Delibes Ballett: Coppelia


Gewagte Opern

Meine Wahl der Musik spiegelt aber auch die aufbrechenden gesellschaftlichen Veränderungen jenes Jahrhunderts wider.

Als 1875 Bizets Oper Carmen uraufgeführt wird, ist das Publikum empört. Zum ersten Mal hatte eine Oper ein soziales Thema mit einer Arbeiterin als Protagonistin aufgegriffen - das galt als unerhört.

Ebenso übrigens der berühmte Cancan in Orpheus in der Unterwelt, wo die Tänzerinnen ihre Röcke hochfliegen lassen.

 

George Bizets Oper: Carmen

Jacques Offenbachs Oper: Orpheus in der Unterwelt


 

Allein daran kann man den damaligen Zeitgeist erkennen.  Und so gab es in jeder Epoche erst einmal Ablehnung gegenüber dem Neuen. Kaum zu glauben, aber auch der Walzer galt anfangs als unanständiger Tanz, standen sich Mann und Frau doch erstmals unziemlich nah gegenüber statt wie noch beim höfischen Tanz des Menuettes auf Armeslänge Distanz. Mehr über den Wiener Walzer und seine Entstehung habe ich übrigens in meiner Schatzkiste geschrieben.

Von der Fledermaus zum Bettelstudenten

Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Operetten sehr beliebt - die etwas leichtere Form der Oper, die auch gerne als Vorläufer des Musicals angesehen wird. Sie erfährt 1874 mit Die Fledermaus von Johann Strauss ihren Höhepunkt. Viele berühmte Melodien daraus geraten zum Gassenhauer, denn im Gegensatz zur Oper zieht es wegen des heiteren oft frivolen Stoffes auch normale Bürger in die Operette. 

 

Die 1882 uraufgeführte Operette Der Bettelstudent von Carl Millöcker gehört zu den beliebtesten und erfolgreichsten Operetten. Und so singt auch der inzwischen 21-jährige Nicolae voller Inbrunst die bekannten Lieder daraus.

Johann Strauss' Operette: Die Fledermaus

Carl Millöckers Operette: Der Bettelstudent


 

Warum ich diese Operetten eingeflochten habe? Weil sie die Stimmung jener Ära bestens widerspiegeln: Der Wunsch nach Heiterem und Leichtem in einer Welt im Umbruch, die Zukunftsängste hervorruft. Denn das bisher Bekannte und Geltende ist mächtig ins Straucheln geraten.


Nächste Blogbeiträge in dieser Kategorie:

Musik in der Nicolae-Saga Teil 2 - Englische und Irische Traditionals

Musik in der Nicolae-Saga Teil 3 - Rumänische Traditionals

Siehe hierzu auch "Aus der Welt der Musik": Historische Persönlichkeiten der Nicolae-Saga

 

> Kontakt