Autobiografie des Literaturpapstes
Mein Leben
"Ich brauche Gott nicht zu suchen, ich habe Goethe gefunden."
Kann es ein schöneres Zitat für Literaturliebhaber geben als das von Marcel Reich-Ranicki?
Angeregt durch die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki in dem Buch „Das Duell“ von Volker Weidermann (siehe letzten Blogbeitrag in dieser Kategorie) und dem darin beschriebenen schwierigen Verhältnis zwischen dem Nobelpreisträger für Literatur und dem berühmt-berüchtigten Literaturkritiker, habe ich zu Reich-Ranickis Autobiografie gegriffen. Auch dieses Buch stammt aus dem aufgelösten Bibliotheksbestand einer Freundin.
Vielleicht hätte ich es niemals gelesen, aber nach dem "Duell" war ich äußerst interessiert; zumal es besser ist, jemanden selbst zu Wort kommen zu lassen, über den man zuvor etwas gehört oder gelesen hat. Das rückt oftmals so manches entstandene Bild (Image) in ein anderes Licht.
Ich muss zugeben, dass ich anfangs skeptisch war, etwas vom Literaturpapst selbst Verfasstes zu lesen - und war schnell wider Erwarten begeistert! Zunächst einmal wegen seines wunderbar klaren und gut verständlichen Schreibstils. Dann wegen seiner unaufgeregten und selbsthinterfragenden Erzählweise.
Selbst in seiner Schilderung des Warschauer Ghettos, das er als einer der wenigen überlebte, hebt er weder den anklagenden Zeigefinger noch drückt er auf die Tränendrüse; er erzählt schlicht und ergreifend seine Geschichte als Zeuge und Opfer jener grausamen und menschenverachtenden Zeit.
Sogar das befürchtete und für Autobiografien so typische übermäßige Namedropping blieb aus. Natürlich hat er seine späteren Weggefährten und all die großen Namen der Literaturwelt angeführt, schließlich hatten viele dieser Begegnungen Auswirkungen auf seine Berufslaufbahn; aber angenehm sachlich und unaufdringlich. Niemals, um sich selbst zu erhöhen.
Ich muss zugeben, dass ich unseren Literaturpapst kolossal verkannt habe. Eigentlich habe ich ihn gar nicht gekannt, da ich Sendungen mit oder Rezensionen von ihm vermieden habe.
Warum? Weil ich voller Vorurteile war wegen seiner seltsamen weithin bekannten Allüren. Und empört. Empört, dass eine Person so viel Einfluss darauf hatte, welcher Roman als lesenswert eingestuft wurde und welcher angeblich so gar nichts taugt; und dass ihm solch ein hoher Stellenwert innerhalb der Literaturbranche eingeräumt wurde.
(Siehe dazu: Mein Herz so weiß von Javier Marias)
Was mich jetzt für ihn einnimmt?
Seine Liebe und Leidenschaft zur Literatur. Die Unmengen von klassischen Werken, die er bereits als Gymnasiast gelesen hat; sie bilden seine Basis und die daraus resultierende Kompetenz. Er hat niemals eine Universität von innen gesehen, außer in späteren Jahren, um zu dozieren. Das unterscheidet ihn von den akademisch ausgerichteten Germanisten. Sein Anliegen war stets, Rezensionen für Leser – und nicht für die Feuilletons – zu schreiben, also allgemeinverständlich.
Daher ein zwar verspätetes, aber nicht minder begeistertes "Bravo!" von mir. Denn das ist es, was ich in den meisten Feuilletons vermisse. Selbst in unserer Lokalzeitung meinen einige Kulturredakteure bei Buchbesprechungen rumschwafeln zu müssen wie eingefleischte Germanistikprofessoren. Wen bloß wollen sie damit beeindrucken?
Wie gut, dass es YouTube gibt, so werde ich mir Szenen aus dem Literarischen Quartett nachträglich zu Gemüte führen: so etwas wie "Best of Verriss". Obwohl Reich-Ranicki ja oft grausam zu Werke gegangen ist, ohne Rücksicht auf die Gefühle des Autors. Da hat ihn halt die Leidenschaft mit sich gerissen. Gerade das macht ihn aus.
Außerdem hat er mich dazu inspiriert, die von ihm in seiner Autobiografie zitierten Bücher, die seit vielen Jahren in unserem Bücherregal schlummern, nochmals zu lesen.
Haben Sie damals das Literarische Quartett geschaut? Falls ja, inwieweit hat Reich-Ranickis Urteil über einen Roman Sie in Ihrer Wahl eines Buches beeinflusst?
Teilen Sie es mir gerne mit. Ich bin gespannt!