Ein angebliches Meisterwerk
Mein Herz so weiß
Darf ich das? Darf ich als Autorin das Werk eines anderen Autors - gelinde gesagt - nicht gut finden?
Klar, darf ich! Denn ich spreche hier nicht als Autorin, sondern als Leserin.
Vor Kurzem habe ich den Roman "Mein Herz so weiß" von dem spanischen Schriftsteller Javier Marias gelesen. Das Buch wurde 1996 vom Literaturpapst Reich-Ranicki im Literarischen Quartett als „Meisterwerk“ bejubelt und auf Platz 1 der Bestsellerliste gewünscht.
Böser Gedanke: Kann es sein, dass der Roman genau deshalb später tatsächlich dort gelandet ist? Der Verdacht liegt nahe. Zumal – wie im Nachwort zu lesen ist – bis dahin kein deutscher Verlag diesen Roman hatte herausbringen wollen. (Obwohl das nicht unbedingt etwas heißen will.)
Aber bei Bestsellern – vor allem Spiegelbestsellern – bin ich soundso misstrauisch.
(Siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Vorsicht: Bestseller!)
Zum Inhalt
Dabei fängt er spektakulär an, und zwar mit dem Selbstmord einer frisch verheirateten Frau direkt nach ihren Flitterwochen. Das Ganze in einer absurden Situation: Während die gesamte Familie im Wohnzimmer versammelt ist, verschwindet die Frischvermählte kurz mal im Badezimmer, um ihrem Leben mit einem gezielten Schuss ins Herz ein Ende zu setzen.
Erzählt wird diese Geschichte fast 40 Jahre später vom Sohn aus zweiter Ehe des zum dritten Mal verwitweten Ehemannes.
Zufällig erfährt Juan, dass die erste Frau seines Vaters gar nicht an einer Krankheit verstorben ist, wie ihm erzählt wurde, und obendrein dass sein Vater vor dieser schon mal verheiratet war.
Gibt es noch mehr Familiengeheimnisse? Und was hat das mit dem Freitod der dritten Frau seines Vaters zu tun?
Bis dahin klingt es recht spannend, oder?
Meine Rezeption
Was sich auf den ersten Seiten als geheimnisvolle Familiengeschichte vorstellt, verödet leider schon kurz darauf in langatmigen Betrachtungen sowie Gedanken- und Wortspielereien des Erzählers. Prinzipiell bin ich für solche inneren Bilder und Monologe sehr empfänglich, mich interessiert das Innenleben von Romanfiguren mehr als die reine Handlung. Doch diese pseudointellektuellen Exkursionen waren weder interessant noch haben sie der Romanfigur Tiefe verliehen. Die Erzählstimme blieb mir fern und unnahbar, um nicht zu sagen: auf gewisse Weise kalt und arrogant. Auch die anderen Figuren wirkten auf mich fremd und blutleer.
Das führte dazu, dass ich etwas tat, was ich sonst nie tue: Ich habe Seiten überflogen! Auf Seite 125 war ich kurz davor, das Buch ganz wegzulegen.
Auch mit dem Schreibstil konnte ich mich nicht anfreunden: zu gekünstelt, zu holprig, einfach unschön. Inwiefern die Übersetzung aus dem Spanischen dazu beigetragen hat, kann ich nicht beurteilen.
Warum ich mich dennoch durch alle 373 Seiten gemüht habe? Weil ich nicht nur dem Familiengeheimnis auf die Spur kommen wollte, sondern vor allem dem Geheimnis eines sogenannten „Meisterwerks“.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dieser Roman ausschließlich für die Zielgruppe Feuilleton/Literaturkritiker geschrieben wurde und darauf ausgerichtet war, Germanistikprofessoren mit geschwurbelten Formulierungen zu entzücken; hinterher vermarktet als tiefgreifender Stoff für den anspruchsvollen Leser.
Das Wesentliche, nämlich die Auflösung des Familiengeheimnisses, habe ich nicht in Erinnerung behalten. Auch sind mir keinerlei Bilder geblieben – außer, dass irgendein Typ auf der Straße minutenlang eine zu einem Balkon hochsehende Frau beobachtete, die den dort kurz erschienenen Mann wüst beschimpfte. Ihre Kleidung, die ihre weiblichen Rundungen betonte, schien dem Autor sehr wichtig zu sein. Aus irgendeinem Grunde auch ihre Schuhe und ihr Gang. Hm ...
Ach so, fast hätte ich es vergessen: Selbstredend wurde dieser Roman ein Welterfolg und mit Preisen überhäuft.
Was doch ein Wort eines so mächtigen Literaturkritikers bewirken kann!
Wer von Ihnen hat dieses Buch auch gelesen? Lassen Sie mich gerne Ihre Meinung dazu wissen. > Kontakt