Meine 3 schlimmsten Lesungen
Diesmal will ich von den weniger gut gelaufenen Lesungen erzählen, denn solche gehören nun einmal auch zum Autorendasein. Im Nachhinein sind sie gar nicht so schlimm gewesen, wie ich sie in dem Moment empfunden habe. Und so manches Mal haben die Zuhörer gar nichts davon mitbekommen. Umso besser!
Ein Düsterer Lesenachmittag
Es war eine meiner ersten Lesungen, bei der ich das erste Mal aus meiner Heimatgemeinde hinauskam. Ich war eingeladen, in der Kreishauptstadt zu lesen.
Aber irgendwie stand das Ganze unter keinem guten Stern. Es war eine Nachmittagsveranstaltung für Senioren und goss schon den ganzen Tag wie aus Kübeln. Bei dem Wetter jagte man nun wirklich keinen Hund vor die Tür – geschweige denn einen älteren Menschen. Es war also von vornherein mit keiner großen Zuhörerschaft zu rechnen. Meine Stimmung war daher, sagen wir: gedämpft.
Obendrein hatte ich kein Auto und musste, bepackt mit Lesungsmanuskript, Werbematerial und Büchern, eine halbe Stunde durch den strömenden Regen radeln. Entsprechend durchnässt und derangiert kam ich dort an.
Wie befürchtet, trudelten nach und nach nur vereinzelt Leute im Veranstaltungsraum ein. Naja, versuchte ich mich zu trösten, auch in kleiner Runde kann es eine gemütliche Lesung werden.
„Kann“ wohlgemerkt, muss aber nicht. Eine aufmerksame Lauscherin hatte ich immerhin, sowie eine Handvoll – na, nennen wir sie mal „Statisten“. Darunter ein mürrischer Alter, der im grantigen Ton zu wissen forderte, warum mein Roman denn ausgerechnet in England und nicht in Deutschland spiele. Zwar ist das eine durchaus berechtige Frage, aber bekanntlich macht der Ton die Musik. Ich hätte nicht im Traum damit gerechnet, dass sich am Handlungsort meiner Familiensaga (ich hatte aus Band 1 gelesen) tatsächlich jemand stören könnte und ich mich für diesen obendrein zu rechtfertigen hätte.
Meine Antwort darauf, dass England einmal fast meine Wahlheimat geworden wäre und ich mich schon immer diesem Land tief verbunden gefühlt hätte, befriedigte den Herrn keineswegs. Es erfolgte bloß ein verständnisloses Kopfschütteln.
Das sind so Zeitgenossen, auf die man gerne verzichten kann, erst recht als Frischling auf einer der ersten Lesungen. Heute würde ich darüber locker hinweggehen oder mit ein paar humorvollen Ausführungen dem Ganzen keinen Spielraum geben. Aber damals brachte es ein unangenehmes Gefühl mit sich und trug nicht gerade zu einer entspannten Atmosphäre bei.
Verschiedene Störfaktoren
Lange im Vorwege war die Lesung in der Schule geplant und dann fanden ausgerechnet an dem Abend Elterngespräche statt. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass einige, die gerne gekommen wären, nicht kommen konnten, sondern dass dadurch eine durchgehende Geräuschkulisse vom Flur in den Veranstaltungsraum drang. Ab und zu ging zwischendurch die Tür auf und ein paar neugierige Blicke linsten zu uns herein. – Okay, das sind Unwägbarkeiten, mit denen man rechnen muss. Es läuft nicht jedes Mal unter perfekten Bedingungen. In der Beziehung war ich bis dahin wohl verwöhnt.
Viel störender war, dass ich am Morgen mit einer Migräne aufgewacht war und diese sich im Laufe des Tages immer weiter verschlimmert hatte. Wirksame Medikamente hatte ich damals noch nicht. Neben dem pochenden Schmerz und der Übelkeit litt ich unter Sehstörungen. Auch wenn ich die zu lesenden Texte fast auswendig kannte, verunsichert so etwas natürlich sehr.
Darüber hinaus fragte ich mich, wie ich die anschließende Gesprächsrunde mit den einhergehenden Wortfindungsstörungen überstehen sollte. Ich weiß es bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, denn ich hatte kaum noch etwas davon mitbekommen.
Die Rückmeldungen waren trotzdem höchst erfreulich. Und auf Nachfrage bei zwei anwesenden Freundinnen, erfuhr ich, dass man mir rein gar nichts angemerkt hatte. Ein wenig blass hätte ich um die Nase ausgesehen, aber ansonsten ... Darüber war ich natürlich sehr froh.
Warum ich die Lesung nicht abgesagt habe? Das hätte ich als unprofessionell erachtet. Die meisten zeigen leider wenig Verständnis, wenn etwas wegen einer Migräne ausfällt – es sei denn, sie leiden selber darunter.
Zum Glück ist das in der Form nie wieder vorgekommen.
Das totale Chaos
... fand in einer Weinstube statt, die Kleinigkeiten und als Spezialität des Hauses Flammkuchen anbot. Ein uriger Raum in einer alten Remise, der perfekte Rahmen für einen gemütlichen Leseabend.
Hätte es zumindest werden können. Doch leider hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie es so schön heißt, denn dieser entpuppte sich als absoluter Chaot.
Nun ist es so, dass ich im Vorwege jeden einzelnen Punkt des Programms mit dem Veranstalter durchgehe:
- Wie, wo und wann wird die Veranstaltung beworben?
- Wer nimmt die Anmeldungen entgegen?
- Wer kassiert den Eintritt?
- Wer macht die Anmoderation?
- Soll es eine Pause geben?
- Wo ist der Leseplatz? Ist genügend Leselicht vorhanden? Wo steht der Büchertisch?
- Welches technische Equipment ist vorhanden? Und und und …
All diese Dinge kläre ich im Vorwege anhand einer Checkliste. Es war daher alles besprochen und notiert, jedenfalls von mir. Wenn sich jeder an die Vereinbarungen hält, kann eigentlich nichts schiefgehen. Tja, wenn!
Es ging schon damit los, dass der Veranstalter mir eine Woche vorher mitteilte, es hätten sich zu wenige Leute angemeldet. Was mich deshalb verwunderte, weil allein die Hälfte der Plätze aufgrund meiner eigenen Werbung bereits belegt war und ich diese Zahl schriftlich gemeldet hatte. Jaja, trotzdem … kam die lapidare Antwort.
Hatte etwa er vergessen, Werbung zu machen? Material genug hatte ich ihm dagelassen. Etwas halbherzig gab er drei Tage vor der Lesung grünes Licht. Wie außerordentlich gnädig.
Als ich an dem Abend wie üblich eine halbe Stunde vorher eintraf, traute ich meinen Augen nicht. Der Laden war knüppeldicke voll, draußen tummelten sich bereits Leute, die nicht mehr hereingelassen worden waren.
Wie ist so etwas möglich? Hatte er vergessen die Anmeldungen zu notieren? Angeblich hätten viele erst in letzter Sekunde … Klar doch!
Und dann: nichts war vorbereitet! Kein einziger Flammkuchenteig war angerührt, keine Cocktails standen zum Empfang bereit, keiner kassierte den Eintritt ab - nichts. Dann funktionierte die Musikanlage nicht, weder ein Büchertisch noch ein Leseplatz war für mich hergerichtet, eine Leselampe war auch nicht vorhanden. (Seitdem habe ich vorsichtshalber immer eine eigene dabei.)
Ich saß also mit an einem der Gästetische bei dürftigen Kerzenlicht, im Hintergrund wirbelte der Wirt und Veranstalter hektisch in der zum Gastraum hin offenen Küche und sorgte so für eine unerwünschte Klangkulisse. Bis zur Pause waren gerade mal 5 Flammkuchen fertig. Er bat um eine Pausenverlängerung, derweil die Gäste längst auf dem Trockenen saßen, denn zum Nachfüllen der Gläser kam er nicht. Hatte ich schon erwähnt, dass er versäumt hatte für ausreichend Personal zu sorgen?
Herrje, ich werde nie begreifen, wie man so unorganisiert sein kann. Und zudem derart geschäftsuntüchtig. Kein Wunder, dass die Remise inzwischen längst von jemand anderes betrieben wird.
Naja, ich glaube es war für mich, die ich mich gegenüber den Zuhörern für den Abend verantwortlich fühlte, schlimmer als für die Gäste selbst. Dann mussten sie halt mal ein bisschen auf Speis und Trank warten, während ich sie unterhielt.
Wo aber blieb die Verantwortung des Veranstalters seinen Gästen gegenüber, zu denen schließlich auch ich gehörte?
>> Im 1. Teil aus dieser Serie: Meine drei aufregendsten Lesungen.
>> Im 3. Teil aus dieser Serie: Meine drei schönsten Lesungen. Denn solche haben zum Glück viel mehr Gewicht.